222 2302 rgbWer eine zu stark geschüttelte Flasche Cola zu schnell und unbedacht öffnet, dem schießt der Inhalt mit Wucht entgegen. Einmal offen, lässt sich der Inhalt kaum noch zurückhalten und ergießt sich über Hemd und Hose.

Wer bei sich oder einem anderen schon mal einen Zornesausbruch erlebt hat, der kennt im übertragenen Sinn die Erfahrung mit der Flasche. Das Gemüt wurde geschüttelt, gereizt und provoziert. Und dann kommt dieser Punk: Mit Macht platzt es aus einem heraus. Das Bittere: Die folgenden Worte oder auch Taten können üblen Schaden hinterlassen.

Der Zorn ist eine Bewegung des Gemüts, die Menschen mit sich reißen kann. Sie holt etwas aus einem Menschen heraus, was ihn geradezu entstellt. Bilder und Zeichnungen von zornerfüllten Personen haben darum oft entstellende Züge. Aufgrund seiner verzerrenden und vernichtenden Wucht taucht der Zorn theologisch an prominenten Stellen auf: Er ist der Ursprung von Kains Brudermord („da packte ihn der Zorn“ Gen 4,5 Basis Bibel). In der katholischen Theologie gehört er zu einer der sieben sogenannten Todsünden, und die Persönlichkeitstypologie des Enneagramms verbucht ihn unter den Wurzelsünden.

Die Alten hatten einen wachen Blick für die Seelenbewegungen des Menschen. Thomas von Aquin (*1225) erkannte: Der Zorn richtet sich eigentlich auf das Gute, Gerechte, Ehrenhafte, das allerdings verbogen und getreten wird. Aber die Leidenschaft, die er entfacht, ist wie eine zu groß geratene Keule, die Verfehlungen und Schaden nach sich zieht.

Um all das wusste auch schon Paulus. Darum schreibt ein Wort der Weisheit nach Ephesus, das wir uns hinter die Ohren schreiben sollten. Es lautet nicht, dass wir nicht zürnen sollen. Wir sind Menschen. Aber unser Zorn soll keine Sünden nach sich ziehen. Es gilt ihn zu kanalisieren, Stück für Stück den Druck entweichen zu lassen. Wer oft zürnt, darf sich fragen, woher das kommt. Und wenn der Zorn uns mal wieder mitreißt, dann möge er vor Anbruch der Dunkelheit verrauchen. Es gilt den Blick zu heben und den Menschen, denen wir zürnten, mit offenem Angesicht zu begegnen. Dann lässt uns die Nacht zur Ruhe kommen und schenkt heilsame Selbsterkenntnis. Und der neu anbrechende Tag bietet Raum für frische, versöhnte Beziehungen.

Prof. Dr. Oliver Pilnei

Theologische Hochschule Elstal